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Ein Akt der Zerstörung der Glaubwürdigkeit der Literatur

Gegen den Boykott der israelischen Kolleg/inn/en und ihrer Einrichtungen

Stellungnahme zum Schriftsteller/innen-Boykottaufruf des palästinensischen Literaturfestes (PalFest)

Ausgehend vom palästinensischen Literaturfest (PalFest) haben Kolleg/inn/en von uns („Wir Schriftsteller, Verleger, Mitarbeiter von Literaturfestivals und andere im Buchwesen Beschäftigte“) zum Boykott unserer Kolleg/inn/en und ihrer Einrichtungen in Israel aufgerufen. Es geht ihnen um den „größten kulturellen Boykott Israels in der Geschichte“. Boykottiert werden sollen u.a. „Verlage, Agenturen, Festivals und Publikationen“. Der Kultur des Landes wird ein „maßgebliches“ Verschulden an der „Vertreibung, ethnischen Säuberung und Apartheit“ attestiert. Sich dem Boykott anzuschließen und ihn durchzuführen aufgerufen sind: „Schriftstellerkollegen, Übersetzer, Illustratoren und Buchhändler, Verleger, Lektoren und Agenten“.

Dieser Aufruf des palästinensischen Literaturfestes (PalFest) stellt einen mit den Grundhaltungen von Autor/inn/en nicht zu vereinbarenden Regelbruch dar. Autor/inn/en sind mit ihren Kolleg/inn/en solidarisch, wenn diese mit den politischen Verhältnissen in ihren Ländern zu kämpfen haben, sie fallen ihnen nicht in den Rücken und unterstellen ihnen, mit Terror und Krieg gemeinsame Sache zu machen. Autor/inn/en stehen ihren Kolleg/inn/en bei, wenn sie verfolgt oder angegriffen werden, sie setzen sie keiner Isolation und keinen Angriffen aus. Autor/inn/en verteidigen ihre eigenen und andere kulturelle Einrichtungen, wenn diese mit politischen Schwierigkeiten oder Unterdrückungen konfrontiert sind, sie befördern und betreiben nicht deren Behinderung oder Verunmöglichung.

Es ist das eine, ob sich Autor/inn/en verweigern, es ist aber etwas anderes, ob Autor/inn/en dazu auffordern, generell Kontakte und die Zusammenarbeit abzubrechen, zurückzuweisen und zu unterbinden. Es ist etwas anderes, der Kultur eines ganzes Landes zu unterstellen, sie kollaboriere schon seit jeher und auch jetzt wieder mit der Unterdrückungspolitik der politischen Repräsentanten ihres Landes.

Proteste gegen Terror, Krieg und Zerstörung können nur an eine Politik adressiert sein, von der sie ausgehen und die sie betreibt. Es ist falsch, spekulativ und insinuiert einen Kulturkampf, „die Kultur“ dafür in die Verantwortung zu nehmen, als würde es keine von der Politik unabhängige oder keine zur Politik in Opposition stehende Kultur geben. Die Verantwortung „der Kultur“ trifft nicht einmal dann zu, wenn es um Länder geht, in denen alles der Zensur und Propaganda unterliegt. Selbst dann ist es notwendig, nach Mitteln und Wegen zu suchen, wie diese Zensur und Propaganda innerhalb und von außerhalb unterlaufen und wirkungslos gemacht werden kann.

Ausgerechnet Schriftsteller/innen versuchen die Kultur zum Verstummen zu bringen. Es ist nicht zu ertragen, dass sich Schriftsteller/innen als Richter und Zensoren aufspielen („wer sich u.a. durch Schönfärberei oder Rechtfertigung oder durch Schweigen mitschuldig macht“) und sämtliche Stimmen der Kultur, kritische wie unkritische, angepasste wie unangepasste, unter Verdacht stellen. Ein Blick in Diktaturen reicht, um die Bedeutung des freien Wortes ermessen zu können. Oder ein Blick zurück in die Nazivergangenheit. Es lässt sich nicht anders verstehen, Schriftsteller/innen, die zu einem Kulturboykott auffordern, beanspruchen das freie Wort für sich, um zur Einschränkung des freien Wortes aufzurufen. Hinzu kommt, dass im Falle Israel sich ein Boykott durchaus nicht selten mit dem einschlägigen Vernichtungswunsch der Kultur und des Landes paart.

Unsere Kolleg/inn/en, die sich, egal, wo in der Welt, für Werte wie Freiheit, Frieden, Demokratie, Gleichberechtigung und andere Grund- und Menschenrechte einsetzen, haben unsere Anerkennung und Unterstützung verdient. Es hat niemand das Recht, sie und ihre Einrichtungen in Verruf zu bringen und ihnen Haltungen zu unterstellen, die weder ihren Ansichten noch ihren Absichten entsprechen.

Wien, 25.11.2024

Kontakt/Unterstützungserklärungen an: g.ruiss(at)literaturhaus.at (Gerhard Ruiss)


Unterstützer/innen:

IG Autorinnen Autoren
Österreichischer PEN Club

Gerhard Ruiss, Autor, Musiker, Geschäftsführer IG Autorinnen Autoren, Wien
Renate Welsh, Autorin, Präsidentin IG Autorinnen Autoren, Wien
Doron Rabinovici, Autor, Historiker, Wien
Christian Teissl, Autor, Vorsitzender Österreichischer Schriftsteller/innenverband, Graz
Marion Wisinger, Autorin, Präsidentin Österreichischer PEN Club, Wien
Gregor Fink, Autor, Wien – Klagenfurt
Sylvia Treudl, Autorin, Herausgeberin, Kritikerin, Wien – NÖ
Gerhard Altmann, Autor, Musiker, Pöttsching
Gabriele Russwurm-Biro, Autorin, Journalistin, Klagenfurt
Werner Richter, literarischer Übersetzer, Präsident der IG Übersetzerinnen Übersetzer, Gerasdorf
Nils Jensen, Autor, Herausgeber, Wien – Aigen
Georg Bydlinski, Autor, Musiker, Mödling
O.P. Zier, Autor, St. Johann im Pongau
Hahnrei Wolf Käfer, Autor, Wien
Manfred Chobot, Autor, Wien
Margit Hahn, Autorin, Wien – Klosterneuburg
Elisabeth Reichart, Autorin, Wien
Helmuth A. Niederle, Autor, Ex-Präsident Österreichischer PEN Club, Wien
Hellmut Butterweck, Autor, Wien
Peter Paul Wiplinger, Autor, Fotograf, Wien
Alexander Emanuely, Autor, Wien
Prof. Dr. Robert Streibel, Historiker, Krems – Wien
Richard Schuberth, Autor, Wien
Dr. Anna Rottensteiner, Autorin & Literaturwissenschaftlerin, Innsbruck
Martin Prinz, Autor, Wien
Heinz Sichrovsky, Kulturjournalist, Wien
Lydia Mischkulnig, Autorin, Wien
Thomas Andreas Beck, Autor, Musiker, Breitenbrunn
Herbert J. Wimmer, Autor, Wien

Weitere Unterstützer/inn/en (PDF, 12.12.2024)